Interview mit dem Regisseur

Oliver Schwehm

Frage: Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen?


Schwehm: Ein sehr merkwürdiger Zufall. Bis November 2014 hatte ich noch nie etwas von der OTRAG gehört. Als damals die Geburt unserer Tochter anstand und wir sie „Ariane“ nennen wollten, habe ich kurz vor ihrer Geburt im Netz einen kurzen Faktencheck gemacht, ob der Name tragbar und keine Bürde sei. Dabei ging es in vielen Artikel natürlich um die europäische Trägerrakete gleichen Namens… und plötzlich war in einigen Artikeln von einem Konkurrenzprojekt namens OTRAG die Rede. Da ich ein gewisses Grundinteresse an Raumfahrtthemen habe, war ich sofort angetriggert. Das Problem war: Es gab entweder keine oder nur krude Informationen. 

Also habe ich versucht, die Beteiligten von damals zu recherchieren. Was mich insgesamt zweieinhalb Jahre gekostet hat. Denn finden Sie mal einen Fremdenlegionär, von dem sie nur den Vornamen haben und wissen, dass er mal auf Korsika gelebt hat.



Frage: Warum wollten Sie die Geschichte erzählen?


Schwehm: Wir leben in einer Welt, die immer mehr von Bildern bestimmt wird. Gleichzeitig saturieren wir, weil es ein absolutes Überangebot an Bilder, Filmen und Geschichten gibt, von denen sich viele gleichen und wiederholen. Daher bin ich immer auf der Suche nach neuen, unerzählten Geschichten.

Ich hätte zum Beispiel kein Interesse, zum gefühlten hundertsiebundachtzigsten Mal die Geschichte der Mondlandung in einem Film zu erzählen. Das hat auch immer etwas mit Konservieren und Festhalten wollen zu tun:

Bevor die Geschichte der OTRAG vollends in das Reich der Legenden und Mythen abgleitet, wollte ich den Hauptakteuren dieses wohl einzigartigen Abenteuers die Gelegenheit geben, uns ihre Version der Geschehnisse zu erzählen, aus erster Hand und ohne Filter.

Einer Sonderrolle kam dabei naturgemäß Lutz Kayser zu. Das ist zum einen dadurch bedingt, dass er der Gründungsvater der OTRAG ist und es das Unternehmen ohne ihn nicht gegeben hätte. Zum anderen wird er durch seinen besonderen Lebensweg zu einer zentralen Figur. BBis zu seinem Tod im November 2017 lebte Kayser alleine mit seiner Frau auf den entlegenen Marschall-Inseln. Es war also höchste Zeit, die Geschichte des waghalsigsten, verrücktesten, visionärsten Abenteuers der Raumfahrtgeschichte überhaupt zu erzählen.




Frage: Wieso ist die Geschichte der OTRAG so wenig bekannt?


Schwehm:  Ich kann hier nur mutmaßen: Zum einen spielten sich die Geschehnisse weitab vom Schuss ab. Im fernen Afrika. Zum anderen wurden die Schlagzeilen in der deutschen Presse in diesen Jahren von ganz anderen, nämlich innenpolitischen Themen bestimmt, Stichwort: Deutscher Herbst. Schließlich hat es auch etwas damit zu tun, dass die direkt Beteiligten selbst lange geschwiegen und eine Art „schwäbische Omertà“ gepflegt haben. Zum einen, weil sie in der Vergangenheit nicht immer die besten Erfahrungen mit „der Presse“ gemacht hatten, zum anderen, weil der Bootsunfall, bei dem sieben Mitarbeiter ihr Leben verloren haben, die Gruppe nachhaltig traumatisiert hat. Aber wie gesagt: Das sind nur Mutmaßungen meinerseits.

Interessant ist jedenfalls, dass es so gut wie keine gesicherten Informationen über die OTRAG gibt, dafür aber jede Menge Legenden und Verschwörungstheorien. Der Plot ist ja auch einfach zu gut und heizt sofort die Fantasie an: Ein genialischer Wissenschaftler entwickelt mit Hilfe alter V2-Ingenieure eine eigene Rakete und baut vor den Augen der Weltöffentlichkeit verborgen im Dschungel eine eigene Raketenstadt. Das lässt selbst Dr. No vor Neid erblassen.



Frage: Was lehrt uns die Geschichte der OTRAG?


Schwehm: Dass „Fake News“ keine Erfindung des 21. Jahrhunderts sind. Beim Durchsehen der Pressemappen sind mir viele wirklich haarsträubende Geschichten begegnet. Unglaublich, was in die OTRAG hineinprojiziert – und fantasiert wurde: Dass auf dem Plateau geheime Cruise Missiles getetest würden oder Deutschland auf diesem Wege versuche, sich eine Atombombe zu bauen. Oder dass die OTRAG mit ihren insgesamt 40 Angestellten 200 000 Eingeboren umgesiedelt hätte. Bei diesen Räuberpistolen war sehr viel Paranoia des Kalten Krieges mit im Spiel – von der wir heute leider wieder nicht allzu sehr entfernt scheinen.

Gleichzeitig ist die Geschichte der OTRAG auch eine Geschichte über den deutschen Michel und die dann doch sehr universelle Frage: Wieweit ist man bereit, für seine Träume zu gehen? Wo zieht man die Grenze? Lutz Kayser und die OTRAG konnten der Versuchung durch Mobutu nicht widerstehen und ergriffen die Gelegenheit, die ihnen der Diktator bot beim Schopf. Die weiteren politischen und diplomatischen Konsequenzen ignorierten sie oder nahmen sie billigend in Kauf. Wobei ich davon überzeugt bin, dass ihnen die ganze Tragweite der Unternehmung – und wie die Raketen der OTRAG bei der Weltgemeinschaft ankommen würden – anfangs nicht bewusst war. Schließlich waren es Ingenieure – und keine Diplomaten oder Politikwissenschaftler. 

 

 

Frage: Nach Zaire gab die OTRAG noch ein kurzes Gastspiel in Libyen. Warum wird das im Film nicht mehr behandelt? 

 

Schwehm:  Die Libyen-Episode ist komplex und hätte zweifelsohne den erzählerischen Rahmen von „Fly Rocket Fly“ gesprengt: Denn kurz nachdem die Firma dort ankommt, zerfällt sie: Kayser muss auf Druck der Aktionäre den Vorsitz abgeben und Frank Wukasch übernimmt das Ruder. Dieser beendet die Zusammenarbeit mit Libyen und führt die OTRAG zurück nach Deutschland. Von dort aus führt er noch einen Flugversuch in Kiruna durch, bevor er dann 1986 die Gesellschaft auflöst. Auch unter technischen Gesichtspunkten kamen die Flugversuche in Libyen nicht an die in Zaire heran.

Gleichzeitig – und das ist das eigentlich Brisante – bleiben einige der deutschen Techniker nach Abzug der OTRAG in Libyen und arbeiten nun direkt für das libysche Militär. Ihr Ziel ist nun nicht mehr die Entwicklung einer zivilen, sondern vielmehr einer militärischen Rakete. Was aber wiederum nichts mehr mit der OTRAG zu tun hat. Das alles ist hochgradig spannend und bietet genügend Stoff für einen eigenen Film. Und wer weiß: Vielleicht wird es ja einen zweiten Teil geben…

Lutz Kayser und Oliver Schwehm auf Bikendrik Island


Filmographie

Oliver Schwehm 

Milli Vanilli – From Fame to Shame

60 Min, 2016 

Cinema Perverso – die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos

60 Min, 2015 

Arno Schmidt- mein Herz gehört dem Kopf

60 Min, 2014 

German Grusel – die Edgar Wallace-Serie

60 Min, 2011 

Christopher Lee – Gentleman des Grauens

60 Min, 2010

Winnetou darf nicht sterben

60 Min, 2007