Kapitel 5 

Interview mit dem Weltraumjournalisten

James Oberg

Frage: Wann haben Sie den Namen „OTRAG“ zum ersten mal gehört?


Oberg: Das erste mal erfuhr ich über OTRAG in den späten 70er Jahren, als ich im NASA Raumfahrtzentrum arbeitete und den Spaceshuttle- Start in Missionskontrolle vorbereitete. 

Ich arbeitete damals auch mit privaten Gruppen, welche an Weltraumbesiedelung interessiert waren, wie zum Beispiel der L5 Gemeinschaft. In ihren Magazinen sprachen sie über OTRAG. 

Obwohl es damals noch kein Internet hab, existierten eine Menge Berichte über diese interessante, möglicherweise bahnbrechenden Raketenentwicklung in Deutschland. 

Die Artikel, die ich las, waren sehr positiv. Es war ein neues Projekt, welches eine weitere Möglichkeit menschlichen Zugangs zum Weltraum ermöglichte und außerdem kostengünstiger war. Das war sehr spannend. 

James Oberg

Frage: War jeder begeistert darüber?


Oberg: Es wurde klar, dass OTRAG kein offizielles Programm war. Heute würden wir es als “disruptiv” bezeichnen. Die Gefahr war: Sie bringen die Wirtschaft des europäischen Ariane Programms zum Erliegen und sogar möglicherweise die des gesamten Raumfahrtprogramms. 

Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass viele Regierungen das Programm aus zwei entgegengesetzten Gründen nicht mochten. Die einen meinten es wäre ein Betrug, ein Scherz und könnte niemals funktionieren, die anderen, dass es sogar schlimmer wäre, es vielleicht funktionierte und die offiziellen Programme dadurch Pleite gehen würden. 



Frage: War OTRAG die erste private Raumfahrtgesellschaft?


Oberg: Soweit ich mich erinnere waren die vorigen privaten Gesellschaften weitestgehend Amateurgruppen, welche Raketen nur 10 oder 20 Kilometer in die Atmosphäre schossen. OTRAG machte den ersten Versuch einer privaten Gesellschaft, an den ich mich erinnere, bei dem man erprobte bis in die Erdumlaufbahn vorzustoßen. 

Das Programm war definitiv ein Pionier mit diesem Konzept.  



Frage: Was haben Sie gedacht, als Sie davon hörten, dass OTRAG sich dazu entschloss ihre Raketen in Zaire zu starten?


Oberg: Die Ankündigung, dass sie ihre Raketen in Zaire starten würden ergab aus Sicht der Raketentechnik sehr viel Sinn. Man wollte die Raketen in Äquatornähe am Punkt der maximalen Rotation der Erde in den in den Weltraum schicken. Wir machen das selbe in den USA von Florida aus und die Russen von ihrer Basis in Kasachstan. Die Chinesen bauen ihre neuen Startflächen aus genau dem selben Grund. Es ist also normal, das zu machen.

Man möchte außerdem ein großes, weites Gebiet, in dem Raketen, welche nicht funktionieren, ohne Probleme harmlos fallen können. 

Darum ergab die Idee, die Raketen in Zaire zu starten, geographisch Sinn. Allerdings stellte sich heraus, dass es diplomatisch ein Desaster war. 



Frage: Warum?


Oberg: Diejenigen, die die afrikanischen Geschehnisse in den 60er und 70er Jahren gesehen hatten, realisierten dass das westlich orientierte Zaire, das ehemalige belgische Kongo, ein turbulenter Platz mit Bürgerkriegen und massiven Problemen war. Unabhängig, jedoch ohne einen ordentlichen Staatsdienst oder einer Infrastruktur. Darum gab es eine Menge Kriege.

Darüberhinaus war das südliche Ende Afrikas in einen Konflikt mit dem südafrikanischen Regime verwickelt und die Sowjetunion selbst unterstütze zwei Satellitenstaaten in Angola und Mosambik.

Rückblickend war das Legen einer Raketenbasis in die Mitte eines Gebietes mit diplomatischen und militärischen Konfrontationen töricht und unklug. 

Frage: Was passierte dann?


Oberg: Das Programm wurde erst nach ihrem ersten Start 1977 ernst genommen, weil sie erst dann sicher eine Rakete hatten. In diesem Fall stellte man sich die Frage, ob sie tatsächlich das vollbringen konnten, was sie versprachen. Und das war die schrecklichste Sache. Denn was sie versprachen war eine Bedrohung. Zum einen für die Wirtschaft der Spaceshutlle-Raumfähre und Ariane, zum anderen für die Wirtschaft anderer Länder. 

Kayser sagte, er würde Weltraumsatelliten für jeden befördern. Das war eine ernsthafte Besorgnis für die USA und das Militärprogramm der Sowjetunion. Sie wussten über ihre gegenseitigen Programme Bescheid und mochten beide die Idee nicht, dass andere Länder das selbe hatten, wenn auch weniger empfindlich, mit einer weniger guten Auflösung und weniger qualitativen Bildern als sie.

Weil da Dinge waren, die sie nicht voreinander verstecken konnten, aber beide vor dem Rest der Welt verstecken wollten. 

Die Vorstellung, dass Kayser tatsächlich einen Satelliten und einen Satelliten mit Kamera haben könnte, war für sie schrecklich.



Frage: Was haben sie gemacht?


Oberg: Die Feindseligkeit zwischen dem amerikanischen, deutschen und russischen Weltraumprogramm und ihrer jeweils eigenen Spionageausrüstung war eine Sache, doch die Frage war, was man gegen OTRAG tun konnte. Es stellte sich heraus, dass die Geschehnisse in Afrika schon in Bewegung geraten waren und Ärger verursachten. Die Russen starteten eine Kampagne gegen die OTRAG und behaupteten, die OTRAG würde in Wirklichkeit militärische Raketen entwickeln. Mit dieser Lügengeschichte übertrafen sich die Russen selbst. 

Die Raketenbasis wurde ein Fokus dieser Propagandakampagne. Das war zu dem Zeitpunkt als zusätzliche Invasionen in Zaire geplant wurden, gerechtfertigt durch die Existenz dieser angeblichen militärischen Testbasis, die im Herzen Afrikas gebaut wurde. Es gab zahlreiche Artikel, politische Karikaturen, Reden und diplomatische Briefe.



Frage: Können Sie uns etwas von dieser Kampagne erzählen?


Oberg: In den späten 70er Jahren begannen in westeuropäischen Publikationen Geschichten aufzutauchen, die von Moskau gesponsert und bezahlt wurden. Von einer dortigen Gruppe, welche sich „Desinformatia“ nennt, die Desinformation. Sie macht schwarze Propaganda. Lügengeschichten, um Menschen zu überzeugen, die nicht realisieren, dass die Geschichten aus Moskau, Prag oder anderen Gebieten die involviert waren, kommen. Eine dieser Geschichten beinhaltet die Nutzung der OTRAG- Basis umm Cruise Missile Raketen zu testen.. 

Die Propaganda sollte Aufsehen erregen, alle Maßnahmen gegen Zaire im Allgemeinen entschuldigen und für die Unterstützung anderer Länder gegen die angebliche Bedrohung sorgen.


 

Frage: Aber es war einfach, sich diese Geschichte auszudenken, denn alles passierte im Urwald, keiner konnte es wirklich überprüfen. War es tatsächlich wie eine Art James Bond Schauplatz?


Oberg: Es war einfach, diese Art von Anschuldigungen zu machen, weil es in einem abgelegenen Gebiet der Erde lag. Man konnte nicht kurz hinfahren und es sich anschauen. Der Grund, warum es an einem entlegenen Ort lag, war, weil es als Raketenbasis diente. Aufgrund eines ähnlichen Systems bauen auch die USA ihre Raketenbasen in Küstennähe. Um Raketen über dem Ozean zu starten. Die Russen bauten ihre Raketenbasis in mitten einer Wüste, in dessen Umgebung keine Menschen lebten. 

Darum haben auch Kayser und seine Leute ihre Raketenbasis in einem unbewohnten Testgebiet errichtet.

Es gab ein paar Besuche der Medien dort. Sie sahen, dass es keinen großen Turm für das Abschießen von Raketen gab. Es gab einen Holzschacht mit einem Aufzug, um die Nase auf die Rakete zu legen. Es gab keine unterirdischen Einrichtungen oder Kommunikationszentren, wie bei James Bond. Es war nur ein Ort, um mittelgroße oder kleine Raketen zu starten.

Aber Kaysers Raketenleute wurden immer wieder auf den militärischen Einsatz ihrer Raketen angesprochen. Und das war unfair in Bezug auf die Raketenwissenschaftler. Ich bin ein professioneller Raketenwissenschaftler. Ich habe einige Jahre in der Missionskontrolle in Houston gearbeitet und gemeinsam mit anderen Flugobjekte gestartet. Wir kontrollierten sie im Weltraum. Es gibt verschiedene Dinge, die man für eine Militärrakete und eine Weltraumrakete braucht. Die Rakete, die Kayser baute, hatte die Merkmale einer Satelliten-Trägerrakete. Es wäre eine sehr arme Militärrakete geworden.

Doch die Unterschiede waren in einem TV- Nachrichtenclip nicht so einfach zu erklären. Die Leute konnten nur erkennen, dass es sich um eine Rakete handelte. 



Frage: Denken Sie, dass Kayser immer auf die richtige Art reagierte? Oder war er manchmal auch der Grund für die Probleme?


Oberg: Kaysers Leute stolperten zunächst über diese Vorwürfe und reagierten verwundert. Sie erklärten jedoch dann geduldig, weshalb die Vorwürfe aus technischen Gründen keinen Sinn ergaben und falsch waren. 

Kayser war absolut korrekt in jeder seiner Beschreibung, nur war er völlig ratlos, wie er dies der breiten Öffentlichkeit erklären konnte. 

Und naja, wie können Sie die Menschen beruhigen? Er war diesem Projekt so nah, er wusste alles haargenau, so dass er es nur für eine Frage der Erklärung hielt. Dafür war es aber zu spät.



Frage: Was passierte dann, als der Druck für OTRAG immer größer und größer wurde? Warum haben sie Zaire verlassen?


Oberg: Ab einem gewissen Punkt wurde es für Kaysers Leute unmöglich zu bleiben. Es gab weiterhin Drohungen über Invasionen und immer mehr diplomatische Probleme. Die Sowjets versetzten dem Ganzen einen weiteren großen Stoß, als sowjetische Diplomaten Beschwerdebriefe an die Regierung in Deutschland, Frankreich und die Republik Kongo schrieben.

Frage: Wo ist OTRAG dann hingegangen?


Oberg: Das Prinzip dahinter, ist einen Satelliten so effizient wie möglich in den Weltraum zu schießen, so nah es geht an den Äquator zu kommen um den stärksten Schwung der Rotation der Erde zu nutzen. In Zaire zu sein war ein perfekter Platz. Andere Länder um den Äquator, wie zum Beispiel Brasilien, hatten möglicherweise ihre eigenen Raketenprogramme. Aus dem selben Grund waren auch einige Länder Asiens daran interessiert, indonesische Inseln zu mieten.

Das Land, in welches OTRAG danach ging, war Libyen. Dort waren sie weiter vom Äquator entfernt, aber günstig gelegen für Raketenwissenschaftler, weil Libyen die Intention verfolgte, die falsche Propaganda gegen OTRAG in Zaire zu ihren Gunsten zu nutzen. Sie wollten allerdings jemanden, der Raketen baute, die sie für militärische Zwecke nutzen konnten



Frage: Denken Sie, die Rakete wäre geflogen?


Oberg: Die große Frage, die sich Raketenwissenschaftler stellten, war, ob es tatsächlich jemals funktioniert hätte. War die Idee zu mutig oder zu verrückt, um zu funktionieren? Der Konsens der Menschen, mit denen ich sprach, war „nein“. Das Konzept war interessant. Allerdings schafften über die Jahre hinweg viele andere Unternehmen, eingeschlossen privater Firmen, erfolgreich den Zugang in die Erdumlaufbahn und keiner von ihnen verfolgte das Prinzip von OTRAG. Zum Beispiel ihr Staging- System, ihr Hardware- System oder das Benutzen billigerer Komponenten. 

Das Gefühl, das ich hatte, war, dass zu viele Dinge an genügend Stellen hätten kaputt gehen können und dass die große, mehrstufige Rakete OTRAGs nie gelingen würde. Es hätte womöglich nie funktioniert oder wenn, dann nur zur Hälfte. Die Idee war zu fortgeschritten für die Standard- Technologie, die sie nutzten. 



Frage: Was geschah mit Lutz Kayser?


Oberg: Er haute ab auf eine Insel, wie Luke Skywalker. Wir brauchen Menschen wie Kayser, die die Grenzen erproben und die Technologie jenseits ihres rational möglichen bewegen. Denn wir müssen herausfinden, wo die Grenzen sind. Raumfahrttechnik ist von Natur aus eine lebensbedrohliche Technologie. Es ist schwer, eine Rakete zu bauen und in die Erdumlaufbahn vorzustoßen ohne jegliche hilfreiche Nutzlast. Man muss Kosten sparen wo man nur kann. 

Zu wissen, wo man verzichten kann und wo nicht, eröffnet eine Frage menschlichen Urteilsvermögens und menschlichen Versagens. OTRAG wird ein Leuchtturm, ein Vorbild für andere Projekte sein. Tatsächlich sitzt ein Leuchtturm auf einem Felsen, warnt Menschen, warnt vor Gefahr, „komm nicht zu nah, du wirst auf die Felsen auflaufen, fahr herum, finde einen neuen Weg“. Das ist, was Leuchtturm wirklich bedeutet. 

Darum sehe ich OTRAG wie einen Leuchtturm. Ich denke, sie können stolz auf ihren Ruf sein.

Von 1980 an testete die OTRAG ihre Raketen in Libyen